Auszug: Das Ziel muss die Umwandlung aller Gesunden in Kranke sein, also in Menschen, die sich möglichst lebenslang sowohl chemisch-physikalisch als auch psychisch für von Experten therapeutisch, rehabilitativ und präventiv manipulierungsbedürftig halten, um „gesund leben“ zu können. Das gelingt im Bereich der körperlichen Erkrankungen schon recht gut, im Bereich der psychischen Störungen aber noch besser, zumal es keinen Mangel an Theorien gibt, nach denen fast alle Menschen nicht gesund sind. Fragwürdig ist die analoge Übertragung des Krankheitsbegriffs vom Körperlichen auf das Psychische. Einige Beispiele: a) Das Sinnesorgan Angst, zuständig für die Signalisierung noch unklarer Bedrohungen, ist zwar unangenehm, jedoch vital notwendig und daher kerngesund; nur am falschen Umgang mit Angst (zum Beispiel Abwehr, Verdrängung) kann man erkranken. In den 70er- und 80er-Jahren jedoch hat man die Angst als Marktnische erkannt und etliche neue, selbstständige Krankheitseinheiten konstruiert – mit vielen wunderbaren Heilungsmöglichkeiten für die dafür dankbaren Patienten.
#1 Der Artikel enthält sicher Wahrheiten über die Trends der Medizin und Betreuung (=Bevormundung) der Menschen, trotzdem wirkt er irgendwie verbissen und undifferenziert. Kann dem so pauschal nicht zustimmen.
Man muss natürlich vorsichtig sein, wenn man zum Arzt geht. Die Lösung ist Bildung des Einzelnen. Bildung heißt Entscheidungsfreiheit.
Der künftig expansivste Markt dürfte der der Prävention sein – von den Experten der gesunden Ernährung über das Jogging bis zu den Fitness- und Wellness-Zentren, Agenturen, die das Leben der Menschen mit wechselnden Schwerpunkten begleiten und mit deren Hilfe sie ihre Gesundheit infinitesimal optimieren, in „Gesundheits-Bewusste“ umerzogen werden sollen. Das Leben wird prozessualisiert als Vitalisierung ohne Ende, wobei nur eins zu vermeiden ist: dass ein Mensch sich zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich für vital hält.
Also ich freue michh, dass es diesen Markt gibt, denn er stellt mir ein sehr kostengünstiges Fitness-Center zur Verfügung, wo ich nach eignem Ermessen an meiner Fitness arbeiten kann.
Die Verteidigung oder Hinausschiebung der Grenzen der eigenen Verfügbarkeit und damit der Freiheit gegenüber helfend-entlastenden Zugriffen betrifft aber auch einen Grundbestand von Schmerzen und Leiden (als Voraussetzung personaler Reifung) sowie der Angst und anderer Gemeinsinne. Überhaupt hat jeder sich sein Recht auf Krisen, Grenzsituationen und andere Lasten wie Behinderung, Krankheit, Altern, Sterben und Tod als ihm zugehörig zu sichern, soll das Leben wirklich erfahren, soll Gesundheit Vitalität sein und sollen Widrigkeiten biografisch genutzt werden. Das gilt auch für Katastrophenopfer. Hier meint Bert Hellinger mit Recht: „Wer ein wirklich schweres Schicksal hat, ist in der Regel stark genug, es zu tragen.“
Abschaffung des Gesundheitssystems? Oh, mein Recht auf Krankheit, Behinderung, Sterben kann ich gern verzichten. Und der letzte Satz ist eine eigenständige Katastrophe.
Anti-Aging ist überflüssig, wir müssen das Altern einfach akzeptieren, es bereichert unser Leben wie auch Schmerz. Oder?